In der Heimat der Großeltern
Geschichten
aus der Heimat Schlesien – Geschichten aus dem Kreis Strehlen: So richtig
interessiert haben sie mich früher nicht. Warum auch? Ich bin hier in meiner
Heimat (Sauerland) geboren und Schlesien lag für mich unerreichbar fern.
„Schlesien“ war wohl ein Begriff für mich, denn mein Vater stammte aus
Mittelmehltheuer. Aus seinen Erzählungen wusste ich, dass er ein Schlesier ist,
und es fiel mir immer wieder auf, wie herzlich Schlesier sich begrüßten, wenn
sie sich trafen und wie groß die Freude dann war. Dennoch – ein Bezug zu der
Heimat der Ahnen hatte ich nicht. Dieses änderte sich jedoch, als ich mich
näher mit dem Thema Schlesien beschäftigte.
Nun
bin ich fast 10 Jahre im Vorstand der Bundesheimatgruppe Stadt und Kreis
Strehlen. Was mir an dieser Arbeit am besten gefällt, ist der Kontakt mit den
zahlreichen Heimatfreunden, die mit Dankbarkeit und Freude meine Arbeiten
annehmen. In den Gesprächen mit ihnen kristallisiert sich immer wieder das
gleiche Problem: „Unsere Kinder und Enkel wollen nichts von Schlesien hören.
Sie zeigen keinerlei Interesse!“ Das Angebot, die Kinder bzw. die Enkel mit in
die alte Heimat zu nehmen wird mit Desinteresse ausgeschlagen: „Was sollen wir
denn da?“ Immer wieder höre ich diese Klagen und immer wieder spüre ich den
Schmerz der Betroffenen. Ebenso oft höre ich aber auch von Kindern bzw. von
Enkeln Heimatvertriebener, dass sie sich „plötzlich“ sehr für die Heimat ihrer
Vorfahren interessieren, obwohl sie früher gar nichts von dem Thema hören
wollten. Besonders traurig sind sie dann, wenn die Eltern oder Großeltern diesen
Sinneswechsel nicht mehr miterleben durften, denn sie wissen genau, wie viel
Freude sie ihnen damit bereitet hätten.
Offensichtlich
liegt es in der Natur des Menschen, dass er mit zunehmendem Alter mehr
Interesse an seiner Herkunft zeigt, zu suchen, wo seine Wurzeln herstammen. Bei
dem Einen kommt es früher, bei den Anderen später. Wo ist es nicht so???
Bei
Silke und Heiko Preußer, Tochter und Sohn der Eheleute Ingrid und
Am Mittwoch, dem 4.7.2007, war es endlich so weit. Wir - die Familie Preußer,
Am Donnerstag besuchten wir natürlich zu allererst Hussinetz. Silke
und Heiko wollten die Wege gehen, die auch ihre Großeltern (Hermann und Frieda
Papesch) gegangen sind. So wählten wir den Weg zum Windmühlberg und bogen
rechts auf den „Grünen Weg“ ab. Von dort aus konnte man den Marienberg mit dem
Hotelturm sowie Strehlen mit der katholischen Kirche betrachten. Auch die
Zuckerfabrik, die Gefängnisanlage und der Granitsteinbruch waren von hier aus
gut zu sehen. Was mich persönlich störte, war ein neu errichteter Silo-Turm
neben der Zuckerfabrik, der das Landschaftsbild derbe störte. Wir kamen beim
Kriegerdenkmal heraus. Nur wenige Meter weiter wohnt die Schwarz Emma mit ihrem
Mann, die wir natürlich besuchten. Dann ging es weiter. Nur ein Steinwurf
entfernt war die Landwirtschaft der Großeltern von Silke und Heiko. Ein
aufregender Moment für beide. Gegenüber waren die Felder, die der Großvater
Hermann Papesch mit Hilfe seiner Frau Frieda in mühevoller Arbeit bestellt
hatte. Jetzt wurden hier schon neue Häuser gebaut. Es ging weiter zur
Sonntagsschule (Pultar-Saal), von dort aus zur Schule und Schmiede in
Mittelmehltheuer und dann zum Steinbruch. Von hier aus ging ein Schleichweg zur
Ziegenbergreihe und schließlich zurück nach Strehlen, wo wir eine Mittagspause
einlegten. Am Nachmittag besichtigten wir Strehlen. Natürlich galt unser erster
Besuch unserem Freund „Paul“ (Herr
Am
Freitag sollte ein weiterer Höhepunkt folgen: Breslau sowie der Heimatort der
Großmutter, Jelline/Großburg, standen zur Besichtigung an. Aber bevor es
losging, verschaffte uns unser Freund Paul Einlass in den Rathausstumpf, der aufgestockt
und ausgebaut wurde. So bestiegen wir den Turm. Von dort aus hat man eine
hervorragende Aussicht in alle Himmelsrichtungen. Nach der Besichtigung fuhren
wir schließlich nach Breslau. Auf dem Weg dorthin sollten wir durch Großburg
kommen. Im benachbarten Jelline steht das Geburtshaus der Großmutter Frieda
Papesch (geb. Pauli). In der Kirche zu Großburg wurde sie getauft und auch
vermählt. Also besichtigten wir mit Silke und Heiko die Großburger Kirche, die
mittlerweile schön renoviert wird. Die Arbeiten
sind fast abgeschlossen. Danach machten wir
einen Abstecher nach Jelline. Von dort aus fuhren wir schließlich nach Breslau
weiter, dessen Ring immer wieder einen Augenfang darstellt. Natürlich ließen
wir es uns nicht nehmen, dem Schweidnitzer Keller einen Besuch abzustatten. Wir
wanderten zur Dominsel und bewunderten den Blick über die Oder zum Dom. Am
späten Nachmittag ging es dann zurück nach Strehlen. Von dort aus fuhren wir
nach Prieborn. Hier wurde vor nicht allzu langer Zeit eine Gedenktafel zu Ehren
des Kirchenmusikers Max Drischner angebracht, die wir fotografieren wollten.
Sie hängt an der Außenwand der Prieborner Kirche. Wir hätten zwar gerne die
Kirche von innen besichtigt, doch verweigerten uns einige Frauen den Eintritt. So fuhren wir zurück
nach Strehlen und besuchten dort den böhmisch–reformierten
Friedhof, der mittlerweile sehr wüst und verwachsen aussieht. Hier müssen auch
die Urgroßeltern und andere Vorfahren von Silke und Heiko begraben sein. So
suchten die beiden wie auch ich früher vergeblich unter
dem wuchernden Grün nach Tafeln oder Hinweisen, die anzeigen sollten, an
welcher Stelle genau ein Vorfahre liegt.
Am
Samstag stand für uns eine Premiere an: der Zobten. Ein Berg, den wir bei jedem
Strehlenbesuch am Horizont sehen konnten. Er wird auch als „der Berg
Schlesiens“ bezeichnet. Diesmal wollten wir ihn besteigen. Das Wetter war
ideal, viel Sonne – aber nicht zu heiß. Wir fuhren auf einen Wandererparkplatz,
der von vielen Ausflüglern als Ausgangspunkt zur Zobten-Besteigung
genutzt wird, und parkten dort unsere Autos.
Dann ging es zu Fuß aufwärts. Nach einer guten Stunde hatten wir die Spitze des
Zobten erreicht. Von dort aus hat man einen fantastischen Blick in die Ferne – vor allem auf die Breslauer Ebene. Das Gebiet um
Strehlen war leider nicht zu sehen, weil in dieser Richtung die Bäume noch zu
hoch standen. Trotzdem war es ein gelungener Ausflug. Auf der Spitze des Zobten steht noch heute eine alte Kirche, deren Eingänge
jedoch zugemauert sind. Wir bestaunten nur die Tatsache, dass man früher solche
Strapazen auf sich nahm, ein Gotteshaus in einer solchen Höhe zu bauen. Abwärts
wählten wir einen Weg direkt durch den Wald, der zunächst sehr steinig und
unwegsam war. Dennoch entschädigte uns der Anblick der Natur und wir erreichten
schließlich gut gelaunt unsere Autos. Nach einem kleinen Picknick auf einer
extra dafür geschaffenen Anlage neben dem Parkplatz fuhren
wir schließlich wieder nach Strehlen. Silke und Heiko hätten noch viele Dinge
besichtigen können, aber sie mussten erst einmal die zahlreichen Erlebnisse
verarbeiten. Besonders erfreulich war ihre Antwort auf das Angebot weiterer
Besichtigungen: „Wir wollen noch etwas für die nächste Fahrt nach Strehlen
aufbewahren, denn dies war bestimmt nicht unsere letzte Fahrt hierhin!“
Am
Sonntag hieß es, Abschied von Strehlen zu nehmen. Mit dem Gefühl, in der Heimat
der Großeltern gewesen zu sein und mit einer Fülle von neuen Eindrücken traten
Silke und Heiko mit uns die Rückfahrt an.
Silke
und Heiko haben mit ihrer Teilnahme besonders ihrer Mutter eine große Freude
bereitet und ohne Zweifel würde sich jeder Heimatfreund freuen, wenn die
eigenen Nachkommen ebenso dieses Interesse für die Heimat Schlesien zeigten.
Die Erfahrung lehrt uns: Das Interesse an der Heimat Schlesien lässt sich nicht
aufzwingen. Früher oder später wird es automatisch geweckt. Ich wünsche Ihnen,
dass sie diese Freude ebenfalls erleben dürfen.
Dr. H.-W. Fleger